Industrie 4.0 in Deutschland

Internet der Dinge und Dienste zieht in die Fabrik

Von Karl-Heinz Möller · 2014

Am Standort Deutschland hat der Wettlauf der Systeme im Rahmen der vierten industriellen Revolution begonnen. Smart Factories und Maschinen mit Gedächtnis und eigener Intelligenz stehen einsatzbereit. Bis zum Jahre 2020 wird die neue Prozesstechnik vollends etabliert sein. Spätestens dann wird deutlich, ob mit Investitionen in Infrastruktur, intelligente Netze und Softwareentwicklung Deutschland seine Standortvorteile festigen konnte, beim Umschalten von der virtuellen in die reale Welt schnell und gut war.

Höher gelegene Bahn-Trasse neben einer vielbefahrenen Straße. Im Hintergrund sind Wolkenkratzer zu erkennen. Thema: Industrie 4.0 in Deutschland

Experten behaupten: Kaum ein anderer Industriestaat auf der Welt habe sich in den vergangenen zehn Jahren so positiv entwickelt wie Deutschland. Das verblüfft, drehte noch vor einem Jahrzehnt der Satz vom kranken Mann Europas die Runde. Bezogen auf die Zukunftsfähigkeit lautet so das Resümee einer aktuellen internationalen Vergleichsstudie der Bertelsmann Stiftung. Studien sind bekanntermaßen nicht immer das Maß der Dinge. Die einen werden nicht aufhören zu fragen, wo denn die einstmals propagierten blühenden Landschaften sind. Andere stimmen dem Ergebnis voll zu und zeigen auf die hiesigen Exporterfolge, die von Rekord zu Rekord spurten, werfen den Blick auf die im Vergleich niedrige Arbeitslosigkeit. Nicht wenige wiederum rechnen vor, dass die existierenden Produktivitätsvorteile gerade verspielt werden. Was ist wirklich los im Standort Deutschland?

Industrie 4.0 in Deutschland: Global denken, lokal reagieren und handeln

Die Redaktion ist einmal mehr der komplexen Fragestellung nachgegangen und hat ihre Recherche auf aktuelle Begebenheiten fokussiert. Einmal mehr haben die Redakteurinnen und Redakteure auch gespürt: Zum Thema Standort Deutschland gehören Millionen Fakten und Facetten, dass es in toto nie und nimmer abzubilden sein wird. Da ist längst nicht mehr das Patent, die Erfindung, die besondere Fähigkeit, das Superprodukt oder die weltweit unverzichtbare Ressource, die den vermeintlichen Vorsprung sichert. Es ist das große Ganze, die vielen kleinen Rädchen, Elektronikteile und Softwarebausteine, die zueinander passen und miteinander kommunizieren, ohne dass Sand ins Getriebe gerät oder sie zu einem Kurzschluss führen.

Innovationen aus der goldenen Nische

Viel Glanz verleiht zurzeit der Mittelstand, auch das Rückgrat der deutschen Wirtschaft genannt. Als absolutes Spezifikum für den Wirtschaftsstandort Deutschland bezeichnet Professor Arnold Weissman, Inhaber der gleichnamigen Unternehmensberatung in Nürnberg, die hohe Anzahl der Weltmarktführer unter den mittelständischen Unternehmen. „Kein anderes Land der Welt hat so viele Nischenanbieter mit Weltspitzenformat wie Deutschland“, sagt Weissman und fügt hinzu, dass diese überwiegend aus den Räumen Nürnberg-Fürth-Erlangen, Baden-Württemberg und NRW kommen. „Da wurde in der Vergangenheit „Außerordentliches“ geleistet, so der Unternehmensberater. Gleichzeitig weist er aber auch darauf hin, dass diese Spitzenpositionen in Zukunft nur behauptet werden, wenn die Unternehmen künftig nicht nur zu evolutionären, sondern zu absolut revolutionären Veränderungen bereit sind. „Wer heute weiter macht wie bisher, wird morgen in einer digitalisierten Welt mit sich rasant verändernden Märkten keinerlei Rolle mehr spielen“, sagt Weissman.

Fakt ist, dass Industrie 4.0 in einem hochindustriellen Land heute im Wettbewerb um Zukunftsmärkte die zentrale Position einnimmt. Darauf konzentrieren sich nicht nur die großen Konzerne, sondern auch die vielen international aufgestellten innovativen kleineren Einheiten. Global denken und handeln ist dabei eine „conditio sine qua non“, die unabdingbare Voraussetzung. Hintergrund ist die Entwicklung, dass die industrielle Fertigung immer neue Produkte in immer kürzeren Abständen auf den Markt wirft. Mit der Individualität der Konsumenten steigt dabei die Anzahl der Varianten. Der Kunde stellt seine Artikel zunehmend nach eigenen Wünschen zusammen. Dass der Einsatz der ständig knapper und damit teurer werdenden Rohstoffe minimiert wird, ist heutzutage ebenso obligatorisch wie die Beachtung ökologischer und gesellschaftlicher Kriterien.

Automatische Interaktion zwischen Produktion und Logistik

Um diese Anforderungen zu realisieren, setzen Forschung und Industrie auf eine flexible und intelligente Automatisierung. In Maschinen, Werkstücken, Transportmitteln und Halbfertigfabrikaten stecken nicht nur kleine Rechner, Systeme, und Sensoren und Aktoren, sie sind miteinander verknüpft und mit dem Internet vernetzt. Informationen werden selbstständig ausgetauscht und es entsteht Interaktion. Experten nennen sie cyber-physische Systeme (Cyber-Physical Systems, CPS), die reale Objekte mit der virtuellen Welt verbinden. CPS-Komponenten ermöglichen den Sprung in der industriellen Fertigung. Das Internet der Dinge und Dienste hält sukzessiv Einzug in die Fabrikhalle. Wo kann smarte Produktion entstehen? Unternehmen wie Siemens, Airbus, BMW und andere sind auf dem Wege dorthin. Jedes Werkstück hat ein eigenes Gedächtnis. Auftraggeber, gewünschte Ausstattung, Zielort, Lieferzeitpunkt sind gespeichert, weltweit. Der Logistik-Branche wird in diesen Prozessen eine tragende Rolle zufallen. In einem solchen beschleunigten Wertschöpfungsprozess wird es auf die Sekunde ankommen, wo wann welches Teil eintrifft, um weiter zu produzieren oder Waren an den Endkunden auszuliefern. Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit Made in Germany werden benötigt. Große, im Aufbruch befindliche Marktteilnehmer sind ein Zeugnis dafür.

Die sowohl faszinierende als auch Respekt einflößende Idee des ‚Alles geht sofort‘ erfasst weitere Themenbereiche. In einer Smart Factory wird es beispielsweise möglich sein, individuelle kundenspezifische Kriterien etwa bei Design, Konfiguration, Bestellung oder Produktion einschließlich kurzfristiger Änderungswünsche zu berücksichtigen. Die Produktion kleiner und sehr individueller Serien bis hin zur Einzelfertigung kann durch die flexible Fertigung wirtschaftlich rentabel werden. Business-to-Business-Segmente bieten Potenziale für innovative Auswertung der vielfältig erhobenen Daten. Interaktive Prozesse erzeugen eine Flut von Daten, ausgehend von den Bedürfnissen der Kunden bis Speicherung und Analyse der Informationen. Im Rahmen von Big Data heißt Selektion das Zauberwort. Die Spreu vom Weizen im großen Datenhaufen zu trennen, erfordert das Know-how der Softwarehersteller.

Aus Old Economy wird New Economy

Immer aktueller und bedeutender wird der Bereich der Datensicherheit, IT-Security. Sie hat sich längst zu einer eigenen Branche innerhalb des Softwaresegments entwickelt. Von Detail-Programm-Bausteinen bis hin zu großen Gesamtpaketen ist alles dabei. Im Zusammenhang mit Big Data ist die Vernetzung der verschieden Programme eine Herausforderung für die Unternehmen. Das Zusammenspiel von Produktion, Logistik, Vertrieb, Verwaltung und Marketing unter einem IT-Dach ist für viele noch eine noch nicht bewältigte Aufgabe. Wie auch die Infrastruktur im Standort Deutschland, die zurzeit ganz oben auf der Agenda steht. Reichen die High-Speed-Kabel aus, um die Flut der Daten zu bewältigen? Oder noch archaischer: Kommt im Süden der Republik genug Strom an, um die Werkshallen und Fließbänder zu versorgen? Auch diesen Aspekten geht die Redaktion nach und recherchiert den Status Quo. Die Entwicklung zur ‚iEconomy‘ zeigt, dass der Maschinen- und Anlagenbau keine ‚Old Economy‘ ist. Sie wächst weiter und integriert das Neue mit dem Bewährten. Informations- und Kommunikationstechnik geben den traditionellen Industrien neue Perspektiven für Wertschöpfung in Deutschland. Der Wandel beginnt nicht jetzt, sondern ist immer ein Wachstumstreiber.

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