Veranstaltungsbranche

Gesichter und Seelen der Städte vor dem Virus retten

Von Christin Hohmeier · 2020

In Konzerten und Clubs, auf Messen, Kongressen und in Sportveranstaltungen schlägt der Puls einer Stadt, hier zeigt sich ihre Leichtigkeit und ihr Charme. Und hier hat die Pandemie große Verwerfungen hinterlassen, das kulturelle Leben steht still. Wegen abgesagter Messen und Kongresse fehlen den Metropolen nicht nur Millionenbeträge, sie verlieren ihre Ausstrahlung.

Feiernde Menschen in einer Club-Atmosphäre
In den Clubs zeigen sich Leichtigkeit und Charme einer Stadt. Foto: iStock / shironosov

Auf dem Weg zur Arbeit plaudere ich mit einer Musikerin. Sie sagt, sie spiele Cello in einem der großen Orchester unserer Hauptstadt. Sie klagt, dass ihre Tage einsam geworden seien. Schon vor Monaten habe sie ihren Platz im Konzertsaal gegen ihr „Homeoffice“ eingetauscht. Über ihren Computer hält sie den Kontakt mit der Außenwelt. Für Musikerinnen und Musiker sei die Arbeit von zu Hause von einem PC mit Videokonferenzsystem und scheppernden Lautsprechern eine Qual. Die Konzertleitung schickt ihr Partituren, sie spielt, probt, übt und diskutiert die Musikstücke online mit den Kollegen. 

Veranstaltungsbranche: Milliardenumsätze mit Musik

Musik ist Kommunikation der Menschen mit- und untereinander. Außerdem steht Musik für die Seele einer Gemeinde, eines Orchesters oder eines Konzerthauses. Und für einen heißumkämpften Markt. Die Spitzenstellung lassen sich die Städte horrende Summen kosten. Als bestes Beispiel gilt die 866 Millionen Euro teure Elbphilharmonie in Hamburg. Andere Städte verdienen sehr gut mit ihrem kulturellen Ansehen, etwa weil viele Millionen Touristen wegen der Techno- und Club-Szene nach Berlin kommen. Die Stadt profitiert mit Umsätzen in Höhe von 1,48 Milliarden Euro pro Jahr. Aber gleichgültig ob Techno oder Klassik, Kosten oder Einnahmen – ohne die Veranstaltungen verliert der urbane Raum seinen Charme, seinen Lebensmut und auch seine Reputation.

Von der Hochkultur bis zur Nachtbar

Auch der deutsche Vertriebschef eines großen US-amerikanischen Herstellers ist auf den direkten Kontakt mit anderen Menschen angewiesen. Sein Konzertsaal ist die Messehalle, seine Bühne der Stand seines Unternehmens. Für eine gute Performance arbeitet er über das gesamte Jahr auf die sechs Tage hin, an denen er mit seinem Team auf der größten Messe seiner Branche unterwegs ist. Auf dem Messegelände verschwindet er in einer Menschenmasse von hunderttausenden Besuchern. Der Tag besteht dann aus einem ununterbrochenen Flow aus Terminen, Produktpräsentationen, Kaffee trinken, frittiertem Fastfood zum Mittagessen und Einladungen in Nobelrestaurants am Abend. Cocktails trinken mit den Geschäftspartnern, ein Besuch in einem Gentlemen‘s Club oder einer Technoparty um Mitternacht – und an jedem Morgen beginnt der Tag um sieben Uhr mit dem Team-Meeting auf dem Messestand. Schließlich gibt es die Belohnung für die anstrengende Woche – die Vertragsabschlüsse: eine Wertschöpfung für sein Unternehmen im Millionen-Bereich. Die Stadt selbst ist die Infrastruktur für die Messe, auf dem Messegelände spielt sich nur der kleinere Teil der Veranstaltung ab. Dafür leben die Messebesucher im Takt der Stadt, nutzen ihre Angebote – von der Hochkultur über Hotels und Restaurants bis in die Nachtbars. 

Digitalisierung scheint keine Lösung zu sein

Aber seit März steht dies alles still. Für alle Beteiligten eine mehr als schmerzliche Situation: Denn Messen sichern in Deutschland mehr als 230.000 Arbeitsplätze, die meisten davon im Dienstleistungssektor. Beispiel Hannover Messe: Sie gilt als die größte Industrieschau der Welt. Im vergangenen Jahr kamen mehr als 200.000 Besucher aus 98 Ländern an den Veranstaltungsort. Aufgrund der Verschiebung und der anschließenden Absage erwarten Messegesellschaft und Gemeinde Einbußen von fast drei Milliarden Euro. Jetzt wollen Messeveranstalter mit einer Mischform aus virtueller Veranstaltung in den Netzwerken und der real stattfindenden Messe das Zusammentreffen der Menschen wieder beleben. Ähnliche Konzepte werden für Konzerte, Clubs und Kongresse erprobt. Besucher oder Gäste sitzen in ihren Büros, Wohnzimmern oder Garagen und lauschen den Geigen oder DJs, Produktpräsentationen oder Vorträgen. Klar ist, dass nichts davon das Live-Erlebnis ersetzen kann. Und nur wenn die Kultur der Menschen stärker ist als die destruktive Kraft des Virus, können sie ihre Städte zurückerobern.

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